Heft 17: Digitales Gesundheitswesen: Konzepte und Praxisbeispiele

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Die Digitalisierung ist längst im Gesundheitswesen angekommen. Allerdings hinkt das Gesundheitswesen im Vergleich zu anderen Branchen hier noch deutlich hinterher. Hürden sind  insbesondere die starke Fragmentierung des Systems und seiner Akteure, die hohe regulative Normendichte und die ungleiche Verteilung von Kosten und Nutzen der Digitalisierung. Doch digitale Angebote in anderen Wirtschaftszweigen haben bei den Versicherten längst neue Erwartungshaltungen im Hinblick auf Bequemlichkeit, Verfügbarkeit und Service wachsen lassen.

Gleichzeitig tauchen im Gesundheitswesen neue Akteure auf – insbesondere in der Privaten Krankenversicherung experimentieren Anbieter bereits mit neuen Geschäftsmodellen.  Zugleich nehmen Versicherte längst neue digitale Angebote an, die ihnen einen aktivere Rolle erlauben: Wearables, die die Sammlung von persönlichen Gesundheitsdaten erlauben, werden immer beliebter. Auch wird das Gesundheitswesen immer mehr zum Marktplatz – sei es bei der Bewertung von Ärzten oder bei der Online-Terminvergabe. Schließlich tauschen sich Patienten immer häufiger in Foren oder Chats aus und handeln selbstbestimmter. Vor diesem Hintergrund wächst der Druck, in der GKV und anderen Teilbereichen des Gesundheitswesens, Regelungen zu treffen, die es erlauben, einen selbstbestimmten Umgang mit Daten und hohe Schutzanforderungen in Einklang zu bringen.

Die Autoren des Diskurs-Hefts 17 „Digitales Gesundheitswesen: Konzepte und Praxisbeispiele“ stellen bereits realisierte oder geplante digitale Vorhaben im Gesundheitswesen vor. Dabei werden Chancen einer besseren Versorgung von Patienten deutlich, aber auch Limitationen – sei es aufgrund des geltenden ärztlichen Berufsrechts, angesichts von Datenschutzbestimmungen und wegen bisher fehlender Möglichkeiten der Vernetzung von Daten.

Prof. Dr. Friedrich Köhler und Sandra Prescher vom Charité-Zentrum für kardiovaskuläre Telemedizin erläutern in ihrem Beitrag ihre Erfahrungen mit der telemedizinischen Mitbetreuung von Herzinsuffizienzpatienten. Die Rationale dabei liegt in einer Früherkennung und Behandlung beginnender kardialer Dekompensation durch komplexe Interventionen bestehend aus Vitaldatenmonitoring, Patientenschulung und einer engen Zusammenarbeit im Telemedizinzentrum und vor Ort beim Patienten. Dieses holistische ambulante Betreuungskonzept firmiert unter dem Begriff „Remote Patient Management“. Geeignet ist diese telemedizinische Mitbetreuung insbesondere für Risikopatienten, bei der eine Reaktionszeit von weniger als einem Tag erforderlich ist. Randomisierte klinische Studien haben wiederholt gezeigt, dass telemedizinisch mitbetreute Patienten von einer geringeren Zahl an Rehospitalisierungen, einer niedrigeren Mortalität und einer besseren Lebensqualität profitieren.

Professor Dr. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer, verweist in seinem Beitrag auf die Probleme der Gesetzlichen Krankenversicherung insgesamt, digital zu denken und zu handeln. Krankenkassen kommunizieren noch heute zumeist über klassische Kommunikationskanäle. Dabei hat Digitalisierung das Potenzial, das Gesundheitswesen grundlegend zu verändern. Sie erlaubt es zum einen, Patienten stärker aktiv in das Management ihrer Krankheiten einzubinden. Zum anderen lässt sich mit der Digitalisierung besser das Bedürfnis nach Individualität der Versicherten bedienen. Digitalisierung im Versorgungsalltag kann aber auch mittels prädiktiver Analytik helfen, Erkrankungswahrscheinlichkeiten besser zu beurteilen. Dies wird beispielsweise eine gezieltere Prävention erlauben. Dabei sollten digitale Produkte nicht als Konkurrenz, sondern immer nur als Ergänzung der ärztlichen Behandlung verstanden werden.

Dr. Amin-Farid Aly, Referent für Telematik und Telemedizin bei der Bundesärztekammer, verweist darauf, dass bei der Etablierung telemedizinischer Konzepte geprüft werden muss, ob die Patientensicherheit im jeweiligen telemedizinischen Setting gewährleistet wird. Weiterhin muss geklärt werden, ob die Methoden hinsichtlich der diagnostischen Aussagekraft mit konventionellen Verfahren mindestens gleichwertig sind. Der bestehende Rechtsrahmen kann aber nicht die Ursache dafür sein, dass das Nutzenpotenzial noch nicht ausgeschöpft wird. Denn der überwiegende Teil der telemedizinischen Verfahren ist schon im bestehenden Rechtsrahmen zulässig.

Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender der DAK-Gesundheit, plädiert dafür, Erprobungsräume und Qualitätsstandards zu schaffen, die es ermöglichen, telemedizinische Angebote und Online-Therapien verbindlich zu prüfen. Dabei müsse es das Ziel sein, wertvolle Angebote von denen zu trennen, die ausschließlich kommerziellen Interessen dienen, ohne einen wirklichen Versorgungsnutzen zu haben. Die Krankenkasse hat ein Online-Therapieangebot bei Depressionen  im Rahmen einer randomisiert-kontrollierten Studie untersuchen lassen. Dabei zeigte sich eine signifikante Reduktion der Depressivität bei gleichzeitig gesunkenen Behandlungskosten.

Thomas Ballast, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse, sieht viele digitale Potenziale in der Versorgung bisher ungenutzt. Eine wichtige Aufgabe ist es daher, das vorhandene Wissen und die verwendbaren Daten allen an der Behandlung beteiligten Akteuren zugänglich zu machen. Denn bisher verfügen Ärzte nur über ein Teilwissen ihrer Patienten, auf das sie aber ihre Diagnose und die gesamte Behandlung aufbauen müssen. Doch dieses Wissen wird bisher an den Sektorengrenzen zwischen der ambulanten und der stationären Versorgung abgeschnitten. Dies liegt aber nicht an einem Mangel an Daten. Vielmehr verharren die Daten bei Krankenkassen, Leistungserbringern und Versicherten – ein Austausch findet kaum statt. Diese Gesundheitsdaten könnten einen sicheren Hafen in der elektronischen Gesundheitsakte finden, die ausschließlich dem Patienten gehört. Die Versicherten entscheiden dabei alleine, welche Informationen in der Akte gespeichert werden und wer darauf zugreifen darf.

Als Resümee der Diskussion beim 17. Frankfurter Forum wurde festgehalten, dass eine ordnungspolitische Debatte über Ziele und Wege für die Digitalisierung im Gesundheitswesen notwendig ist. Hier ist der Gesetzgeber gefordert. Chancen und Risiken sind gleichermaßen gegeben – jetzt kommt es auf die politische Gestaltung eines sinnvollen und dem Ziel der guten Patientenversorgung dienenden Ideenwettbewerbs an.

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Heft 17:
April 2018
Digitales Gesundheitswesen: Konzepte und Praxisbeispiele
Editorial:Digitalisierung im Gesundheitswesen – Vorteile nutzen, Missbrauch verhindern!
Gudrun Schaich-Walch, Dr. med. Jürgen Bausch
Vortrag 1:Worin liegen Chancen und Risiken für Patienten,
Ärzte und Krankenkassen?
Prof. Dr. med. Christoph Straub, BARMER, Berlin/Wuppertal
Vortrag 2:Telemedizinische Mitbetreuung bei chronischer
Herzinsuffizienz: Chance für bessere Versorgung
Prof. Dr. med. Friedrich Köhler,
Charité-Universitätsmedizin Berlin
Dipl. Soz. tech. Sandra Prescher, Charité-Universitätsmedizin Berlin
Vortrag 3:Telemedizinische Verfahren: Erfolgsfaktor für eine
bessere Betreuung chronisch Kranker?
Dr. med. Amin-Farid Aly, Bundesärztekammer Berlin
Vortrag 4:Telemonitoring depressiver Patienten –
Konsequenzen für Prävention und Behandlung
Andreas Storm, DAK-Gesundheit, Hamburg
Vortrag 5:Digitale Diabetes-Versorgung: Wie Patienten vom
technischen Fortschritt profitieren
Thomas Ballast, Diplom Volkswirt, Techniker Krankenkasse, Hamburg
Fazit:Digitalisierung braucht einen Ideenwettbewerb, der politisch gestaltet wird
Dr.
phil. Florian Staeck

Heft 16: Digitales Gesundheitswesen: Chancen, Nutzen, Risiken

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Die Digitalisierung des Gesundheitswesens ist mit großen Chancen verbunden. Sie kann den Weg für bessere Versorgungslösungen ebnen und bietet neue Möglichkeiten für eine unmittelbare Arzt-Patienten-Kommunikation. Doch die herkömmlichen staatlichen Regulierungsansätze sind augenscheinlich bisher mit der Dynamik der technischen Entwicklung überfordert.

Einerseits fehlt es gegenwärtig überwiegend an praktikablen Ansätzen, um beispielsweise Smartphone-Applikationen, die einen Patientennutzen versprechen, abzugrenzen von Angeboten, die wenig Evidenz, dafür aber hohe Risiken im Hinblick auf den Datenschutz erwarten lassen. Andererseits bieten die schon bisher im Zuge der Versorgung erhobenen Routinedaten der gesetzlichen Krankenkassen eine Vielzahl an Möglichkeiten, um Versicherte proaktiv im Sinne einer lückenlosen Versorgung anzusprechen. Hier aber hemmen die strengen Vorgaben des Sozialdatenschutzes bisher die Kostenträger in dem Bemühen, Über-, Unter- und Fehlver­sorgungen rechtzeitig zu erkennen und zu verhindern. Vor diesem Hintergrund diskutieren die Autoren im Diskurs-Heft 16 „Digitales Gesundheitswesen: Chancen, Nutzen, Risiken“ das Thema aus einer interdisziplinären Perspektive.

Privat-Dozent Dr. Urs-Vito Albrecht, stellvertretender Direktor des hannoverschen Standorts des Peter L. Reichertz Instituts für Medizinische Informatik der TU Braunschweig und der MHH, betont, mobile Technologien könnten breiten Bevölkerungsschichten die Möglichkeit zur besseren Teilhabe an Gesundheitsprozessen geben. Wo Patienten in der Versorgung eher eine passive Rolle innehatten, könnten mobile Technologien die Anwender nun aktiv einbinden und sie Verantwortung für die eigene Gesundheit übernehmen lassen. Die entsprechenden Potenziale werden allerdings bisher kaum genutzt, bedauert Albrecht in seinem Beitrag „Gesundheits-Apps – Patientennutzen versus Kommerz“. Von Seiten der Politik sei daher eine aufmerksame Ausgestaltung der Rahmenbedingungen in Form einer Begleitung der Entwicklungen des mobilen Sektors geboten. Sie sollte mit Vorsicht aber dennoch wohlwollend tätig werden, um Entwicklungspotenziale nicht bereits im Keim zu ersticken, lautet Albrechts Plädoyer. Dazu gehöre auch das Fördern von Maßnahmen, die Evidenz schaffen und somit langfristig auch eine Finanzierung mHealth-basierter Lösungen ermöglichen.

Prof. Dr. h.c. Herbert Rebscher, Institut für Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung, erinnert in seinem Beitrag „Versichertendaten in der GKV: Wege zur besseren Steuerung und Effizienz der Versorgung“ an das Konzept einer „Solidarischen Wettbewerbsordnung“ in der GKV. Dessen zentrales Ziel lautet, die Akteure des Systems zu motivieren und in die Lage zu versetzen, durch systematische Suchprozesse und selektive Vertragsmodelle die Versorgung der Patienten zu verbessern. Dieses Konzept wurde politisch nur zurückhaltend umgesetzt und – insbesondere auf Angebotsseite – nie wirklich konsequent verfolgt, bedauert Rebscher. Zudem sei insbesondere die Nutzung der Versichertendaten für eine bessere Steuerung und Versorgung einseitig unter dem Aspekt des Datenschutzes und nur nachrangig unter dem ebenso wichtigen Aspekt einer qualitativ hochwertigen und wirtschaftlichen Patientenversorgung diskutiert worden. Rebscher spricht sich für eine gesetzliche Aufgabenzuweisung an Krankenkassen aus: Sie sollten die Möglichkeit erhalten, selbst Versorgungsmanagement zu betreiben. Entsprechend sollten die erforderlichen Regelungen zum Sozialdatenschutz in Paragraf 284 SGB V angepasst werden.

Prof. Dr. Dr. Eva Winkler vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen am Universitätsklinikum Heidelberg betont in ihrem Beitrag „Big Data in Forschung und Versorgung: ethische Überlegungen und Lösungsansätze“, es handele sich bei „Big Data“ keineswegs nur um ein Modewort. Es gebe in der Medizin vielversprechende Anwendungsfelder in der Forschung, der Krankenversorgung, aber auch an der Schnittstelle zwischen den beiden Bereichen – der Translation. Zu den damit verbundenen ethischen Handlungsfeldern gehörten Fragen nach der Information und Zustimmung der Datennutzung durch Studienteilnehmer, der Umgang und die Rückmeldemöglichkeit von Zufallsbefunden aus der Forschung oder die Verantwortung von Forschern und Institutionen im Gesundheitswesen bei der Datenweitergabe und Datennutzung. Winkler konstatiert, dass die in Deutschland geltenden Prinzipien für die Datennutzung zu Forschungszwecken – wie Datensparsamkeit, Zweckbindung der Nutzung und der Einwilligungsprozess mit Aufklärung für ein Forschungsprojekt – die Art von Forschung, von der man sich heute einen großen Nutzen verspricht, behindern. Künftig seien Forscher und ihre Institutionen daher viel stärker als bisher in der Pflicht, für die Gestaltung eines verantwortlichen Umgangs mit Forschungsdaten die Rahmen- und Schutzbedingungen so zu gestalten, dass Risiken für die Re-Identifizierung der Patienten minimiert werden. Parallel dazu werde künftig der Beratungs- und Informationsbedarf auf Seiten der Patienten steigen.

Prof. Dr. Gerd Hasenfuß, Direktor der Klinik und Kardiologie und Pneumologie der Universitätsmedizin Göttingen, hebt hervor, internet-basierte Arzt-Patient-Interaktionen seien bereits im Versorgungsalltag angekommen. In seinem Beitrag „Digitalisierung in der Medizin Herausforderungen für Ärzte und Patienten“ berichtet er über Smartphone-Applikationen, die eine kontinuierliche Überwachung von Patienten mit Implikationen für präventive, diagnostische und therapeutische Maßnahmen versprechen. Nachdem Politik und Ärzteschaft das Potenzial der Fernbehandlung erkannt haben, wurde das Fernbehandlungsverbot relativiert und für Pilotprojekte explizit aufgehoben. Eine große Herausforderung bestehe jedoch darin, die Zuverlässigkeit der Information und die Datensicherheit zu gewährleisten. Außerdem müssten IT-Lösungen zur Kanalisierung der Datenflut und zum Informationsaustausch zwischen Arzt und Patient entwickelt werden. Hasenfuß fordert, es müsse dafür Sorge getragen werden, dass auch weniger technikaffine Patienten am Fortschritt durch Mobile Health partizipieren können.

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Heft 16:
Oktober 2017
Digitales Gesundheitswesen: Chancen, Nutzen, Risiken
Editorial:Die Gestaltung der Digitalisierung zum Wohle der Patienten wird ein Kraftakt
Gudrun Schaich-Walch, Dr.med Jürgen Bausch
Vortrag 1:Gesundheits-Apps – Patientennutzen versus Kommerz
PD. Dr. med. Urs-Vito Albrecht, MPH, Hochschule Hannover
Vortrag 2:Versichertendaten in der GKV:
Wege zur besseren Steuerung und Effizienz der Versorgung
Prof. Dr. h. c. Herbert Rebscher, Universität Bayreuth
Vortrag 3:Big Data in Forschung und Versorgung: ethische Überlegungen und Lösungsansätze
Prof. Dr. med. Dr. phil. Eva C. Winkler, Universitätsklinikum Heidelberg,
Vortrag 4:Digitalisierung in der Medizin – Herausforderungen für Ärzte und Patienten
Prof. Dr .med. Gerd Hasenfuss, Universitätsmedizin Göttingen
Fazit:Die Möglichkeiten sind noch unausgelotet, eine Regulierungsstrategie ist noch nicht erkennbar
Dr.
phil. Florian Staeck